Vier Tage schon habe ich nichts Richtiges mehr gegessen. Nichts Richtiges heißt: nichts außer Bananen und Ingwertee. Mir ist schlecht. Eine penetrante und nicht los zu werdende Übelkeit begleitet mich schon meinen gesamten Aufenthalt in Udaipur, wo ich Diwali, das indische Lichterfest mitfeiern möchte.

Ihr könnt euch den Beitrag auch anhören:

Nun gut, Übelkeit ist nervig und steigert nicht zwingend das Wohlbefinden, aber sie hält mich auch nicht ans Bett gefesselt. Was dazu führt, dass ich auf der westlichen Seite des Sees Pichola in Udaipur zu unverhofftem Ruhm gelange.

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Wie das geht? Europäerin trifft auf eine Horde noch nicht gänzlich pubertierender indischer Jungs in einem nicht so touristischen indischen Stadtviertel: „What‘s your name, madam? What‘s your name?“

Und was antworte ich? Die Wahrheit natürlich: „Marianna, nice to meet you.“

Das war ein Fehler; den ich im Übrigen auch nur dieses eine Mal begehe, merken! Denn diese netten, niedlichen Jungs haben nun einen ungeheuer großen Spaß dabei ständig hinter mir her zu laufen, meinen Namen schreiend.

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Am nächsten Tag grüßen mich also alle umliegenden Händler mit „Hey Marianna, how are you?“, „Marianna, we have very beautiful Pashminas here“, „Marianna, look at my shop and have a tea.“

Das ist nett – keine Frage. Und ein Problem. Denn ich kann ja schlecht Menschen, die mich mit meinem Namen ansprechen ignorieren, auch wenn es weit über ein Dutzend sind. Ich verstehe jetzt wie sich Brangelina fühlen und warum sie ständig unerkannt das Haus verlassen wollen; man hat halt nicht immer Lust mit jedem zu reden.

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Und außerdem ist mir ja auch noch schlecht. An Tag Nummer drei hab ich wieder so einen Ehrlichkeitsanfall und antworte dem ayuverdischen Masseur auf sein „Marianna, how are you?“ mit einem „not good“.

Er kann mich heilen, ist seine prompte Reaktion. Er muss sich nur meine Füße anschauen. Kostenlos natürlich. Man kann alles an den Füßen erkennen. 
Ich weiß nicht mehr ob ich Widerstand leistete, aber ein paar Minuten später sitzt ich da und ein indischer Guru schaut sich meine Füße an und sagt, das sei ganz klar, dass es mir nicht gut geht, meine großen Zehen sind ungleich lang. Meine Organe sind nicht im Gleichgewicht. Wie therapiert man so was? Einfach kräftig an den beiden großen Zehen ziehen bis sie wieder gleich lang sind. Schwups, sind die Organe wieder zurecht gerückt. Er will tatsächlich kein Geld dafür.

Ich geh weiter meiner Wege, durch diese Begegnung so abgelenkt, dass ich die Übelkeit ein paar Minuten nicht mehr zur Kenntnis nehme.

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Auf dem Rückweg erkundigt er sich höflich nach meinem Wohlbefinden und ich antworte ihm höflich die Wahrheit: „Das an den Zehen ziehen“ hätte nur ein paar Minuten Wirkung gezeigt. Entsetzen in seinem Gesicht. Er muss sich das noch mal anschauen, das kann nicht sein, hab ich denn inzwischen was gegessen? „Nein.“ Aha, deshalb. Ich hätte was essen müssen!

Also nochmal.

Ja, ich seh’s auch, meine Zehen sind tatsächlich ungleich lang. Diesmal wickelt er nach dem wirklich sehr kräftig dran ziehen – aua – noch ein rotes Wollband um jeden der beiden großen Zehen (soll unbedingt ein paar Tage dran bleiben) und zwingt mich in seiner Anwesenheit noch was zu essen, um meine Heilung live mit zu erleben. Er will wieder kein Geld.

Ich nehme die Bänder nach einem Tag ab, irgendwie schnüren sie mir das Blut ab, und ich komme mir unglaublich albern vor, mit roten Wollbändern um die Zehen gewickelt um her zu wandern.

Mir ist schlecht.

Update vom 04.09.2016

Katarina von Mr. Fopa hat doch tatsächlich die Geschichte als Inspiration für einen Comic genommen. Et voila:

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Der Artikel erschien zuerst auf Reisedepeschen.de

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Marianna

Marianna ist Hamburgerin mit griechischen Wurzeln, studierte in Berlin Literatur-, Kultur- und Rechtswissenschaften und arbeitete in Indien, Griechenland und München. Sie lebt in Berlin, ist als Autorin, Webdesignerin und Fotografin tätig und ist süchtig nach frischem Koriander.

  1. Eva says:

    Du Arme! Passte mal auf, dass Du nicht schwanger bist. Mir auch so ergangen in Indien. Ständig schlecht und viele Wunderheiler und Ayurveda Spezialisten haben an mir rumgedoktort. Tatsächlich lag das Problem doch ganz woanders. Es ist heute übrigens sieben Jahre alt ;-)

    1. Marianna says:

      Hahaha :D
      Glückwunsch!
      Aus der Perspektive hab ich es noch gar nicht gelesen. Aber du hast Recht, es klingt absolut nach der Schwangerschaftsübelkeit. Die es in dem Fall wirklich nicht war.
      Die hat mich aber tatsächlich diesen Juni überfallen und wollte für Monate nicht weichen.
      Wenn es alles gut geht kommt die „Übelkeitsursache“ im nächsten Jahr ;)

      P.S. Die Geschichte aus Indien ist einwenig älter. Aber immer noch erzählenswert, wie ich finde.

  2. Norah says:

    Na ist doch logisch war dir immer noch schlecht, wenn du die Wollbänder bereits nach nur einem Tag abgenommen hast ;-) Sehr sympathisch, dass dir der Mann unbedingt helfen wollte – wenn auch ohne Erfolg…

    Das mit den Ehrlichkeitsanfällen auf Reisen kenne ich gut. Manchmal hab ich’s dann auch bereut… Zum Beispiel wenn ich notgeilen Männern bejaht habe, dass ich als Single-Frau alleine unterwegs bin (wusste zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht, dass sie notgeil sind….).

    Hoffe, du hast die Übelkeit in Indien damals gut überstanden! LG Norah

  3. Wolfgang says:

    Danke für´s Erinnern an meine eigene „indische Übelkeit“! ;) Die mich über 3 Monate immer wieder heimgesucht hat und deren (mutmaßliche) Ursache erst an meiner vorletzten Station geklärt werden konnte. Das war in Varanasi, und nein, trotzdem war kein Wunderheiler beteiligt, es war viel banaler, kann aber noch nicht verraten werden, es bedarf noch der „Verarbeitung“ … ;)

    LG, Wolfgang

  4. Pingback:Surfen im Herbst - Die Coolen Blogbeiträge #41

  5. Markus says:

    Hallo Marianna,
    toller Blog! Fahre demnächst auch nach Indien. 3 Monate werden es insgesamst.
    Backpacking von Norden nach Süden. Freu mich schon total und solche Beiträge mach richtig Lust auf Indien! Daran ändert auch eventuelle Übelekeit nichts.
    LG
    Markus

  6. Sissi says:

    Danke für diesen wunderbaren, so typisch indischen Bericht. Ich musste sehr schmunzeln zwischendrin :)
    Alles Gute für deine Schwangerschaft! Mein zweites Kind habe ich liebevoll immer nur „Kotzbrocken“ genannt, weil die Übelkeit erst mit Geburt zu Ende war. Ich hoffe, dir geht es besser.

  7. Nicole says:

    Danke für den ehrlichen Bericht. Ich möchte auch demnächst nach Indien – scheint die Übelkeit ist ein Souvenir das jeder Indienreisende mitbringt. Ich hoffe es lohnt sich trotzdem. Hast du noch ein Wundermittelchen gefunden? ;-)
    Liebe Grüße Nicole

    1. Marianna says:

      Es lohnt sich trotzdem! Nein, hab kein Wundermittel gefunden, leider. Das ganze endete mit 40 Grad Fieber und einem total Ausfall meines Verdauungssystems. War aber beim Arzt, bekam ein paar super Medikamente, die sofort halfen und nach 3 Tagen war ich wieder komplett fit.

  8. Pingback:12mal12 Oktober - heldenwetter

  9. Hallo Marianna,
    entweder Du liebst Indien oder Du haßt es. Die Inder sind derart kontaktfreudig. Meine Frau und ich haben es unheimlich genossen eine Radreise dort zu machen. Und in Udaipur dem Venedig des Ostens mit seinen zahlreichen Palästen hat schon was. Wenn Corona besiegt ist, dann werden wir wieder und immer wieder nach Indien reisen. Aber was wir stets dabei haben: Unsere eigene Medikamente. Damit sind wir fast überall auf der Welt, insbesondere bei Übelkeit immer gut gefahren. Dennoch Dein Bericht hat mich sehr gefreut und ich habe es mit Genuss aufgenommen, wie Du über die Inder schreibst.

  10. Florian says:

    Ich habe aus Interesse reingelesen und bereue es nicht. Das Reiseziel Udaipur in Indien erscheint mir interessant zu sein und aufgrund dessen bedanke ich mich für diesen großartigen Artikel über die Wunderheilung in Udaipur. Danke für deine Arbeit!

  11. Cristina says:

    Übelkeit und Indien: Manchmal scheinen sie Hand in Hand zu gehen. Ich bin schon dreimal nach Indien gereist und hatte nie Probleme. Aber mein armer Mann ist zweimal erkrankt. Und zwar nicht, weil er etwas Schlechtes gegessen hat, sondern einfach, weil sein Magen nach einer Woche die intensive Mischung aus Gewürzen und scharfen Speisen nicht mehr vertragen hat. Die Symptome, die Du beschreibst, passen genau auf sein Krankheitsbild: Fieber, ständige Übelkeit und Appetitlosigkeit (kein Erbrechen, nur Durchfall). Letztes Mal hat er geschworen, nie wieder mit mir nach Indien zu kommen, also muss ich das nächste Mal alleine fahren 😉.

    In Udaipur können wir übrigens das Rainbow-Restaurant am Flussufer empfehlen (ja, es stimmt, dass das Essen scharf ist, auch wenn man darum bittet, nicht scharf zu kochen, aber die Atmosphäre ist sehr schön, vor allem zum Sonnenuntergang).

    Wenn Ihr einen empfindlichen Magen habt (Ihr solltet lieber dann eine Reise nach Indien gar nicht erst in Erwägung ziehen), ist es am besten, wenn Ihr im Gästehaus isst. Während unserer Woche in Udaipur wohnten wir im Hari Niwas Guesthouse (sehr empfehlenswert, unter der Leitung einer sehr gastfreundlichen Familie: https://www.hariniwasudaipur.com/). Wir haben dort fast jeden Abend zu Abend gegessen, für sehr wenig Geld wird ein saftiges indisches Abendessen bestehend aus Dal, verschiedenen Currys und Nachtisch zubereitet. Und das Beste daran: es ist gar nicht scharf! (natürlich für indische Verhältnisse 😉).

    Liebe Grüße Marianna und Danke für Deine Arbeit!

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