München? Fand ich immer nicht so wichtig, nicht so interessant. Das hat sich geändert. Woran das liegt: Menschen, die das Richtige sagen, Geschäftskonzepte, die nicht nur Profit sondern auch Schönheit im Visier haben, Personen, die etwas von ihrem Handwerk verstehen und andere damit begeistern können – und ich stelle euch heute fünf Unternehmen vor, die das verinnerlicht haben. Kurz: München, ich habe dich unterschätzt! Aber komm doch einfach selbst zu Wort.

»Wir kommen aus der Nacht«

An einem Tag im Frühsommer sagte diesen Satz entweder Sascha Arnold oder Niels Jäger, sie empfangen mich in der Cantine Cantona. Die Cantine führt ein Doppelleben: Farm-To-Table Kantine am Mittag und Restaurant am Abend. Gemeinsam mit Steffen Werner führen Niels und Sascha diesen schnieken Laden in der Maxvorstadt. Aber was hat das mit der Nacht zu tun? Nun, die Cantine Cantona ist kein Einzelkind sondern Teil einer sehr vorzeigbaren Großfamilie, darunter auch Nachteulen: Der Club bobbeaman zum Beispiel. Ich nehme in der Cantine Platz und merke: Hier gefällt es mir.

Nils_Sascha

Bisher eifrige Verfechterin der typischen München-Klischees (alles Schnösel, zu sauber, teuer) muss ich mich jetzt doch revidieren: Da sitzen normale Menschen, nippen an ihrer Limo (hausgemacht), verbringen hier einfach ihre Mittagspause. Schnell wird mir mein Essen vor die Nase gesetzt und ich schmelze dahin. Und es schmeckt noch viel besser in diesem tollen Ambiente. Nach dem Essen? Biege ich einfach nach links, in die Türkenstraße, denn direkt neben der CC gibt es Nachtisch. Die Herren Arnold, Jäger, Werner bieten hier in einem kleinen Ladengeschäft nämlich leckere und gesunde Smoothies an: Super, Danke!

Cantine-C

Aber bestätigen Ausnahmen nicht die Regel? Ob ich in München noch so einen Glückstreffer erziele? Ich mache mich auf den Weg.

»Wir wollen den 1. Platz in einer Liga, die es noch nicht gibt.«

Christian Löber strahlt. Offensichtlich ist das sein Charakter: Er lacht viel, oft, unterstreicht seine Sätze mit Gesten – besser: ergänzt. Das trifft sich, denn Christian ist Schauspieler an den Kammerspielen hier in München. Er hat Zeit, er nimmt mich mit: hinter die Bühne, auf die Bühne (der Saal ist selbstredend leer), führt mich zur Maske, durch das Treppenhaus.

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Durch das Haus weht ein frischer Wind: Matthias Lilienthal ist seit Sommer 2015 der neue Intendant, das Theater richtet sich mit internationalen Regisseuren und spannenden Konzepten neu aus, zum Beispiel mit dem Munich Welcome Theatre, und bietet damit einen Raum zur Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsthematik. Noch nichts vor? Ab zu den Kammerspielen.

Details-Theater

Ich gehe rechts, links, wieder rechts, irgendwo entlang. Streife kurz irgendeine Grünfläche, hier gibt es Fahrradfahrer, sie schauen freundlich. München ohne wenigstens ein bisschen Gold und Glitzer? Geht ja irgendwie auch nicht.

»Man kann nichts neues mehr schaffen, nur verbinden – aber dann entsteht etwas interessantes.«

Eine Goldschmiede. In München. Klingt zu schick, klingt zu etepetete, klingt nach Anzug und Krawatte und weißen Baumwollhandschuhen. Ich habe nicht mit Patrik Muff gerechnet, ich habe es nicht geahnt. Patrik ist ein Kerl für sich: Klarer, durchdringender Blick, dabei ein so ehrliches und freundliches Lächeln, Tattoos, große Hände. Mit diesen schmiedet er Gold, stempelt Silber, zelebriert gekonnt, präzise und ohne Schnörkel ein Jahrhunderte altes Handwerk.

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Der Stil des Schmucks? Ein wenig düster, barocke Ornamente, unerwartete Elemente – ein Statement: Kopf oder Zahl. Der Laden: Holzvitrinen, modern aber dennoch leicht antik, mit eigener Patina, auf jeden Fall: Mit Liebe gestaltet. Auf dem Holztresen sitzt seine Tochter, strahlt die Besucher herausfordernd an, verschwindet dann hinten in der Werkstatt. Patrik nimmt mich mit zu seinen Werkzeugen , zeigt mir die alte Werkbank, ihre Narben von den vielen Schmuckstücken, die auf ihr gefertigt wurden.

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Auch wenn Schmuck generell nicht unbedingt der Grund ist, weshalb ich eine Stadt erkunde, geht es mir hier eigentlich auch um etwas anderes: Da ist Patrik, seine Frau Bele und mich fasziniert – viel mehr als der schöne Schmuck – die Geschichten hinter den Personen. Patrik erzählt von seinen ersten Schmuckstücken, von seiner Jugend, streift seine Zeit in Köln (hier hat er studiert) und wie er handwerklich zu dem wurde, was er nun ist.

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Das finde ich spannend: Eine Goldschmiedelehre,  wie entsteht so ein Berufswunsch? Sind die Schmuckstücke der Muffs bereits Unikate, sind es Herr, Frau und Tochter Muff noch viel mehr. Damit fängt man mich: mit Geschichten. Sowas Wildes, Raues und Herzliches in München? Und es gibt einen wunderschönen, alten Kicker. Mitten in diesem schönen Geschäft. Ich fange an, meine München-Meinung zu überdenken.

»Die Farbe ist wie eine Sucht.«

Immer wenn ich an München denke, denke ich an folgendes: P1, Oktoberfest, Dirndl. Fand ich alles bisher immer anstrengend, besonders die traditionellen Trachten haben mich nie so richtig fangen können – alles zu konservativ, zu gefestigt, da erkenne ich für mich keinen Mehrwert. Dann nehmen mich die lieben Leute von Mucbook mit zu NOH NEE. Afrikanische Dirndl? Hä?

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Die Schwestern Marie und Rahmée, geboren in Kamerun, nähen genau das. Und so macht das für mich auch einen Sinn: Farben, Muster, Formen und besonders: Qualität, jedes Teil ein Unikat. Diese Arbeit die mit den Kleidern verwebt sein muss! Kann man dann überhaupt loslassen, frage ich Rahmée, ihre Antwort ist nachvollziehbar: „Wir sind fast traurig, wenn uns ein Unikat verlässt.“

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Neben den Dirndln gibt es weitere Kooperationen mit ausgewählten Schuhmanufakturen. Aktuell verkauft das Label eine kleine Kollektion mit Blusen, Kleidern, Mänteln und weiteren Kleidungsstücken – auch nicht Oktoberfesttauglich. Marie macht die Entwürfe und sorgt für die Details, jede Kollektion ein Fest. Und ich? Bin kurz davor, so ein Schmuckstück einmal anzuprobieren. Rahmée warnt mich: Die Farbe ist wie eine Sucht.

»München überrascht«

Der Tag war anstrengend, ich muss die Eindrücke erst verarbeiten. Den Abend ausklingen stelle ich mir leicht vor: Bayerische Burger, dann Gin in einer Pop-Up-Bar, die morgen schon wieder schließt. Ich bin wieder überrascht: Sowas in München? München überrascht – dieses Zitat stammt von mir. Zurück im Hotel setze ich mich zu anderen Gästen, die Gespräche verlaufen bis in die Nacht hinein, die Menschen sind offen, freundlich und verraten mir, wo es das beste Eis Münchens gibt. Ist doch nett hier, denke ich und falle in einen tiefen, kurzen Schlaf.

hotel

Am nächsten Tag, im Zug gen Kassel, fällt mir noch eine Zeile ein, Patrik Muff hat sie gestern in der Goldschmiede fallen lassen: „München ist eine Stadt, in der ein Mensch irgendwann einmal landet.“ Er meint damit: Dort leben, seine Erfahrungen machen, die Klischees der Stadt wegkratzen, dass darunter entdecken. Ich bin noch nicht ganz soweit, dieses zu unterschreiben. Aber auf einem guten Weg.

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Stella Pfeifer

Studiert und arbeitet in Kassel, doch am liebsten fährt sie durch fremde Landschaften oder mit der Belgrader Straßenbahn. Und schreibt darüber. Immer mit dabei: Ein Notizbuch und ein kleiner Beutel voller Fotofilme, denn ihre Reisen fotografiert sie ausschließlich analog. Was sie noch mag? Gespräche. Mehr dazu auf: fünfpluszwei.de.

    1. Stella Pfeifer says:

      Liebe Johanna, freut mich, dass er dir gefällt! Bald bin ich bestimmt wieder in München, dann gehen wir unbedingt Kaffee trinken,ja? Oder gerne auch, wenn du mal in Kassel bist.. :)

  1. Gerhard says:

    Ach ja … München … ich bin hier geboren und aufgewachsen und froh jetzt weiter draußen zu leben.

    Ist ja alles ganz schön und gut, mal Schnösel, man „normale“ Leute, aber letzten Endes doch in seiner Gesamtheit recht verbohrt. Sicher, so manch einer geht hier wirklich seinen eigenen Weg – wie in jeder anderen Stadt auch – aber die meisten hängen hier genauso in ihrer Tretmühle fest wie alle anderen auch und merken es nicht.

    Eigentlich … wie in jeder anderen Stadt, an jedem anderen Ort dieses Planeten auch. Könnte man auch gleich in München bleiben … :)

    Gerhard
    ein Schamane

    1. Stella Pfeifer says:

      Lieber Gerhard, mittlerweile halte ich es so: Eine Stadt ist das, was du aus ihr machst. Natürlich – und so dachte ich ja schließlich auch! – ist München schon eine Nummer für sich. Vielleicht kann man sie ja aber auch deswegen mögen? :) Lieben Gruß!

  2. Martina says:

    München ist eine schöne Stadt, ich fahre immer gerne auf einen Abstecher vorbei ! Ob ich jetzt gerne dort leben möchte ? Da bin ich mir nicht so sicher !!
    Danke für die Vorstellungen der Persönlichkeiten in München, die machen ja dann doch einen Unterschied. Leute kennen zu lernen, ist doch das aller Wichtigste.

    1. Marianna says:

      Liebe Martina,

      nach wie vor schätzen wir dein Feedback sehr. Aber ich bitte dich jetzt wiederholt deinen Namen und nicht Werbe- oder SEO taugliche Keywords hier einzutragen. Danke!
      VG
      Marianna

      1. Martina says:

        Liebe Marianna,
        Sorry, irgendwie müssen Deine anderen Kommentare nicht bei mir angekommen sein. Kein Problem – keine Keywords mehr :) Ich mag Deinen Blog sehr gerne.
        LG,
        Martina

  3. Leo Weiß says:

    Hallo Stella.

    Mein Lebensmittelpunkt hat sich, neben meinen Reisen, mittlerweile nach München verschoben.

    München ist nicht mehr so langweilig, wie die meisten Deutschen denken. München kann mittlerweile wirklich einiges bieten. Vor allem die jungen Menschen verändern nach und nach das M I T E I N A N D E R . Englischer Garten, Isar, Glockenbachviertel, …

    Ich bin stolz auf München – die WELTSTADT MIT HERZ.

    Liebe Grüße aus München
    Leo

  4. Anika says:

    Aw, Stella, ich habe es erst jetzt gelesen und es ist ja so schön geworden! Ihr hattet eine tolle Tour, da wäre ich gerne dabei gewesen, vor allem in den Kammerspielen.

    Danke, dass du gekommen bist und schön, wenn wir etwas von deinen augenzwinkernden Vorurteilen abbauen konnten :)

    Grüße!
    Ani

    1. Stella Pfeifer says:

      Liebe Ani,

      ja ich muss gestehen, die Kammerspiele waren auch mein Favorit. Allein einmal selbst auf dieser Bühne zu stehen! Zugegeben: Für einen kurzen Moment habe ich mir vorgestellt, der Saal sei randvoll und ich eine Schauspielerin. Lieben Dank für die tolle Organisation von MUCBOOK! :)

  5. Hannah says:

    München hat mehr Facetten als man meint. Unter dieser Klischee-behafteten Schicht versteckt sich nämlich eine interessante, moderne und vor allem lockere Stadt, die es zu entdecken gilt. München ist immer wieder eine Reise wert.

  6. Aline says:

    Ich bin aus München und finde es toll, durch diesen Beitrag mal eine andere Perspektive auf meine Heimatstadt zu bekommen.

    Danke für diesen Artikel und LG!

  7. Pingback:Warum wir alle mehr durch Deutschland reisen sollten - heldenwetter

  8. München ist sehr schön! Ich komme nicht so oft dorthin wie ich möchte.
    Wie erkundet man normalerweise die Stadt? Mieten Sie ein Fahrrad oder ein Geländewagen? Oder benutzen Sie öffentliche Verkehrsmittel?

    X Anne

  9. Pingback:Ein Kurztrip nach München: 24 Stunden in der bayrischen Hauptstadt

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