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Diese Stadt ist verdammt hässlich

Kolumbien-(c)-Deniz-Ispaylar

Es folgt ein Gastbeitrag von Anika Landsteiner:

Liebes Medellín, erst eine gute Woche ist es her, dass wir uns voneinander verabschiedet haben. Und jetzt sitze ich hier in New York, die Stadt, die alles bietet, alles gibt, niemals schläft. Aber ich. Ich will zurück zu dir. Und jetzt hab ich auch noch diesen furchtbaren Schlagerohrwurm, den man immer kriegt, sobald man irgendwelche kitschigen Sätze verwendet, um seine Zuneigung auszudrücken.

Dennoch: Du hast es geschafft, dass ich etwas in dir sehe, was man nur sieht, wenn man längere Zeit mit dir verbringt. Denn Liebe auf den ersten Blick war es sicherlich nicht.

Blick von der Metrostation San Antonio
Blick von der Metrostation San Antonio
Ein Escobar-Bildchen an seinem damaligen Haus © Deniz Ispaylar
Ein Escobar-Bildchen an seinem damaligen Haus © Deniz Ispaylar

„Diese Stadt ist verdammt hässlich“, habe ich vor fast sechs Wochen zu meinem Freund gesagt, nachdem ich mit der Metro herumgefahren bin und mir einen Blick über deine Dächer verschafft habe. Er nickte daraufhin zustimmend, allerdings lag etwas in seinem Blick. Und da war auch so ein verschmitztes Lächeln, als ob er mir sagen wollte, vielleicht: „Wart’s nur ab.“
Ja, Medellín, die Schönste bist du nicht, aber das weißt du ja. Trotzdem, für mich bist du ein Stückchen Heimat geworden. Ich habe bei dir einen angenehmen Alltag in der Ferne gefunden, habe von der Hängematte aus gearbeitet, bin stundenlang herumgelaufen und habe mich treiben lassen, bin voller Vorfreude jeden Tag in mein Lieblingsrestaurant SaludPan gestapft und habe hippe Cafés entdecken dürfen.

Medellin bei Nacht, Penthouse 11. stock © Deniz Ispaylar
Medellin bei Nacht, Penthouse 11. stock © Deniz Ispaylar

Du warst für mich außerdem Ausgangspunkt für unglaubliche Reisen in dem Land, in dem du selbst zu Hause bist. Kolumbien, das meiner Meinung nach auf ganzer Linie so dermaßen übertreibt, weil es einfach alles kann. Erst habe ich in Bahia Solano meine Dschungelangst überwunden, dann habe ich meinen Mund nicht mehr zubekommen, als ich über die Schönheit des Amazonas in Leticia staunen durfte und am Ende hatte ich doch glatt den schönsten aller Tage in einer romantisch-charmanten Finca auf der Kaffeeplantage Campo Amor irgendwo im Umland deiner eigenen Grenzen. Es war wundervoll, wirklich. So wundervoll, dass ich meine Nordamerikapläne über Bord werfe und meinen Flug umbuche, nur, damit ich noch ein bisschen länger bei dir sein kann.

Gebäude im Zentrum Medellin
Gebäude im Zentrum
Friedhof San Pedro ©Deniz Ispaylar
Friedhof San Pedro ©Deniz Ispaylar

Ich weiß, dass du nicht jeden von dir überzeugen kannst. Aber ich kann nur sagen, dass du mich überzeugt hast. All die Geschichten aus der Vergangenheit, die ich über dich gehört habe, sehe ich nur noch verschwommen in dir, denn du hast alles gegeben, um dich sicherer zu fühlen und um deinen Menschen eine Heimat zu bieten, in der niemand Angst haben muss. Es fahren keine Panzer mehr durch die Wohnsiedlungen. Und die Menschen treiben Sport oder andere Aktivitäten, anstatt auf den Straßen zu landen. Das Ende des Weges ist allerdings noch lange nicht erreicht. Wahrscheinlich wird es nie zu Ende sein. Aber ich verspreche dir, dass ich dich weiter verfolgen werde, selbst wenn ich wieder ganz weit weg bin. Und ich werde allen erzählen, was es zu erleben gibt, wenn man sich für dich und deine fabelhafte Gesellschaft öffnet. Wo man sicher flanieren kann und am besten speist.

Kolumbien-(c)-Deniz-Ispaylar
Distrikt 13, angeblich der mit am gefährlichste Stadtteil, im Hintergrund Medellin ©Deniz-Ispaylar
Rolltreppen im Distrikt 13, um die Menschen am Berg zu verbinden - vor allem Kinder und ältere Leute ©Deniz-Ispaylar
Rolltreppen im Distrikt 13, um die Menschen am Berg zu verbinden – vor allem Kinder und ältere Leute ©Deniz-Ispaylar

Aber bis dahin verbringen wir nun noch ein paar Tage gemeinsam in der Sonne und ich schaue mir noch die letzten Fleckchen Kolumbiens an. In der Hoffnung, alles aufzusaugen. Alles schön zu verpacken und mit nach Hause zu nehmen. Und dann die Eindrücke zu verschenken, damit es keiner aushält, Kolumbien nicht gesehen zu haben.

Medellín, te quiero. Ah, si claro.

CategoriesAllgemein
Anika Landsteiner

Ani heißt eigentlich Anika, wird grundsätzlich falsch geschrieben und nur in vollem Namen gerufen, wenn sie etwas angestellt hat. Seit Sommer 2010 veröffentlicht sie ihre anidenkt. Kolumnen. Frei nach dem Motto "Was raus muss, muss raus!", werden in regelmäßigen Abständen kleine Herzensangelegenheiten, Reiseartikel und Fotostrecken veröffentlicht. Ihr findet Ani auch auf Facebook, Twitter und Instagram.

  1. Oh wie schön! Medellin ist tatsächlich erst auf den zweiten Blick eine wunderschöne Stadt. Und sie entwickelt sich unglaublich schnell. Ich war 2009 zuletzt dort und war begeistert, nachdem ich von Bogotá nur so mittelprächtig beeindruckt war. Medellin ist definitiv eine Stadt, in der man sich schnell wohlfühlen kann, ich könnte mir auch vorstellen dort mal ein wenig länger zu bleiben. Du hast Recht, Kolumbien ist super spannend. :) Definitiv eines meiner Lieblingsländer in Südamerika!

    1. Anika says:

      Danke, liebe Mandy.
      Mir gehts genauso. Alle schwärmten von Bogotá, auf mich hat die Stadt einschüchternd gewirkt und es war super kalt und hat geregnet. Da hat es natürlich so eine Stadt auch nicht leicht zu überzeugen.
      In Medellín könnte ich mir mittlerweile auch vorstellen, länger zu leben. Es ist halt ne Langzeitbeziehung, auf die man sich einlassen muss^^

  2. Madlen says:

    Schön! Ach Medellin hat bei mir leider nicht so eingeschlagen. Ich mochte jede Stadt Kolumbiens auf Anhieb, und immer noch besonders Bogotá. Nur Medellin blieb für mich irgendwie „hässlich“, aber ich gebe der Stadt definitiv eine zweite Chance – wahrscheinlich schon bald ;-) PS: Die Umgebung hatte es mir hingegen gleich angetan.

  3. Melli says:

    Als ich das Titelbild gesehen habe, dachte „na was kommt jetzt“ ein Wutbeitrag über irgendeine Stadt, beim Lesen wurde es mir klar dein Artikel hat rein gar nichts mit einem „Wutbeitrag“ zu tun sondern mit einer herlichen Liebeserklärung an Medellin. Deinen Beitrag habe ich bis zum Schluss, fast atemlos in eins durchgelesen! Ganz toller Schreibstil, Ani!

    schöne Grüße aus dem Urlaub,

    Melli

  4. Jecrer says:

    Das es da so schön sein kann glaubt man gar nicht, wenn man die Bilder sieht. Auf den ersten Blick war ich ganz schön erschrocken aber der Brief hat wirklich was. Wie ist es in der Hängematte zu liegen und zu arbeiten? Also ich stelle es mir echt sehr angenehm vor.

    1. Marianna says:

      Bei den Bildern bist du erschrocken? Also ich find die Fotos großartig und sie machen mich neugierig selbst hinzufahren.
      Viel mehr als die Postkartenfotos, wo alles glänzt.

      Schön, dass dir der Brief gefallen hat!

  5. Markus says:

    Ich glaube man kann sich immer in eine Stadt verlieben. Es sind halt dann andere Dinge als der Hochglanz. z.B. soziale Beziehungen oder der Job oder so … aber schöner Beitrag.

  6. Christina says:

    Es kommt eben drauf an, wie es Markus über mir schreibt. Ein schöner Beitrag ist es, ja, aber jeder hat halt einen anderen Draht zu Städten, daher würde ich es nicht als hässliche Stadt sondern als eigen bezeichnen :)

    1. Marianna says:

      Es geht ja um subjektive Empfindungen. Und auch hässlich ist eine subjektive Wahrnehmung. Von daher find ich das völlig in Ordnung. Wir sind ja hier auf einem Blog und nicht bei einer Zeitung, wo man Objektivität und Zurückhaltung erwartet. Hier geht es um eigene Ansichten und persönliche Empfindungen, wie man Freunden erzählt. Und da gehört auch ein starkes Wort wie hässlich dazu. Find ich.

      LG

  7. Pingback:Ein Spaziergang in schwarz-weiß: Medellín und Escobars Haus anidenkt.

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  9. Pascal says:

    Es freut mich zu lesen, dass es Dir in Medellín gefallen hat. Viele unserer Gäste, die wir durch Kolumbien begleiten haben große Vorbehalte, wenn nicht sogar Angst, wenn es nach Medellín geht.
    Allerdings muss man dabei auch zugeben, dass die Stadt nicht zu Unrecht einen recht schlechten Ruf inne hatte. In den vergangenen Jahren hat sich hier jedoch eine Menge getan, man spürt überall eine Aufbruchstimmung und ich bin sicher, dass diese Entwicklung erst am Anfang eines langen Prozesses steht – und genau wie Du reisen zum Glück immer mehr Menschen in diese zumindest auf den zweiten Blick so schöne Stadt! :-)

    1. Marianna says:

      Danke für deinen Kommentar und Infos. Es werden bestimmt auch immer mehr werden, vor allem wenn die Stimmung gut ist, wie du sagst.

  10. Marc says:

    Humm, ziemlich nichtssagender Bericht, trotz der relativ vielen Worte. Die Autorin empfindet die Stadt als haesslich, ist ihr auf den zweiten Blick aber trotzdem verfallen. Warum sie die Stadt so sehr mag, bleibt leider ihr Geheimnis, denn erklaeren kann sie es nicht. Sollte es vielleicht an dem (kolumbianischen?) Freund liegen, der kurz erwaehnt wird? Die ansonsten angesprochenen Trivialitaeten (guter Kaffee, in Haengematte gearbeitet, guter Ausgangspunkt fuer Ausfluege usw.) koennen wohl kaum der Grund sein. Muss man vielleicht weiblich sein, um den Bericht zu verstehen? Immerhin haben sich ALLE weiblichen Kommentatoren positiv geaeussert. Ist mir ein Mysterium. Nur aus diesem Grund ist es doch noch ein unterhaltsamer Beitrag. Ansonsten mir leider nicht hilfreich.

    1. Marianna says:

      Hallo Marc,

      ich bin zwar nicht die Autorin, aber Herausgeberin des Blogs. Was hast du dir denn hilfreiches erhofft? Welche Infos fehlen dir? Mit welcher Intention hast du den Artikel gelesen bzw. bist du drauf gestoßen?
      Freu mich über deine Rückmeldung.
      VG
      Marianna

  11. Pingback:Medellín, tú perla fea | Ein Reisebericht

  12. Chris says:

    Hallo Ani,

    danke für diesen erfrischend anderen Reisebericht! Die Bilder sehen wirklich nicht nach Traumstadt aus, aber das macht ja auch irgendwo den Charme aus. Für uns geht es am 2. Weihnachtstag nach Kolumbien und wir werden in Medellin starten und sind schon ganz gespannt, was uns dort erwarten wird :)

    Liebe Grüße aus Panama
    Chris

  13. BK says:

    Anika, gerade habe ich deinen Artikel gelesen. Ich musste weinen. Ich habe einen ganz guten Bekannten in Medellin. Wir schreiben uns schon sehr lange. Ich habe mich in ihn verliebt. Mein Gott, das kommt vor. Ich bin immer traurig, wenn er schreibt. Ich möchte so gern bei ihm sein, aber ich bin noch gebunden.
    Ich weiss, es klingt blöd, aber ich liebe ihn.
    Hilf mir! Wie komme ich nach Medellin? Manche Tage heule ich mir die Augen aus dem Kopf, so fehlt er mir.
    Vielen Dank! Bitte, ich möchte nicht, das mein Name veröffentlicht wird.

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