„Wer nicht wegfährt, kann auch nicht heimkommen“, sagt Anika Landsteiner und hat genau darüber ein Buch geschrieben: Über den Aufbruch, das Reisen, aber auch das Zurückkommen. In „Gehen, um zu bleiben“ erzählt sie in 15 chronologisch aufgebauten Geschichten von ihren Erlebnissen auf der ganzen Welt, die von einer missglückten Liebesgeschichte in Paris bis zum Begleiten einer Hilfsarbeit durch Benin reichen. Hier gibt es nun einen Ausschnitt zu lesen:

Zehntausend Meter über Oman

Ich hatte ein geschmackloses Curry. Und ich stellte erneut fest, dass Vegetarier auf Flügen zwar als erste ihr Essen bekamen, was oftmals mit neidischen Blicken hungriger Sitznachbarn gestraft wurde, aber auch, dass man nie, nie, verdammt noch mal nie den gleichen Nachtisch bekam wie alle anderen. Immer gab es Obst für diejenigen, die kein Fleisch aßen. Nie gab es Muffin oder Käsekuchen. Und auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass beide keine Geschmacksexplosionen offenbarten, überkam mich in diesen Situationen immer der Futterneid. Her mit dem Käsekuchen.
Ich schob mein halb aufgegessenes Abendessen weg und drückte wieder auf Play. The Great Gatsby, für mehr Glamour in der Holzklasse. Bei Minute Vierzehn spürte ich einen Ruck und dann rebellierten meine Ohren.

»Ich glaube, wir haben gerade an Höhe verloren«, sagte ich. »Das macht keinen Sinn, oder? Wir sind seit einer halben Stunde in der Luft.«
Deniz nickte, was mein Herz zum Rasen brachte. »Wir drehen um.« 
Dieser Satz fühlte sich für mich so an, als wären wir bereits abgestürzt. Ich fühlte mich ohnmächtig. Mein Blick klebte an dem Display vor mir, das die Flugkarte zeigte. Das war kein kleiner Umweg und auch kein kleiner Schlenker. Das Flugzeug kehrte um und mein Magen drehte sich dabei gleich mit.

In den nächsten Minuten passierte Folgendes: Zum einen geriet ich in Panik, was die Sache nicht verbesserte. Dabei ließ ich den Bildschirm vor mir nicht aus den Augen. Die Maschine befand sich im Luftraum über dem Oman. Kurz vor dem Arabischen Meer hatte sie eine Drehung um einhundertachtzig Grad gemacht und nun flog sie zurück. Unterdessen hatte Deniz meine Hand genommen und hielt sie nun so fest, dass ich mir nicht sicher war, ob der Schweiß, der sich zwischen unseren Handflächen bildete, aus meiner Angst heraus entstand oder meinem sehr festen Händedruck. Ich wagte einen Blick in den Gang und musste feststellen, dass die vorher so gut gelaunten Flugbegleiterinnen das Essen, das sie eben verteilt hatten, hektisch wieder einsammelten, noch bevor manche Gäste überhaupt die appetitliche Plastikverpackung hatten abnehmen können. Ein seltsames Bild. Flugbegleiterinnen waren normalerweise nie aus der Ruhe zu bringen und die rot geschminkten Münder mit dem perfekten Lächeln saßen meist noch bei den unangenehmsten Turbulenzen.

»Meine Damen und Herren, wie Sie vielleicht bereits festgestellt haben, befinden wir uns in einem Sinkflug. Aufgrund technischer Schwierigkeiten müssen wir eine Notlandung in Maskat machen. Zu Ihrer eigenen Sicherheit bitten wir Sie, ruhig zu bleiben und sich anzuschnallen. Wir werden in zehn Minuten landen.« Knack, das war alles.

»Zehn Minuten?«

»Das ist halb so wild«, sagte Deniz. »Der Sinkflug ist kontrolliert, das ist ein gutes Zeichen. Mach einfach den Druckausgleich.«

Das tat ich dann auch. Druckausgleich, atmen, Druckausgleich, atmen. Eine Stewardess setzte sich vor uns auf den Notsitz. Auf der anderen Seite des Ganges nahm ein in zivil gekleideter Mann Platz. Der Sky Marshall. Ein Flugsicherheitsbegleiter, der oftmals an Bord war, um eine Flugzeugentführung zu verhindern, saß nun direkt vor mir. Ich fixierte ihn. Er wirkte entspannt. Ich übte mich darin, seinem Gesichtsausdruck zu vertrauen. Und den beiden Männern im Cockpit. Die Sache war die, dass ich keine andere Wahl hatte.

Fünf Minuten später setzte die Maschine in Oman auf. Alles war gut gegangen, aber jeder Muskel in meinem Körper zuckte. Nachdem das Flugzeug von mehreren Feuerwehrautos zu seinem Platz eskortiert worden war, stiegen wir sofort über zwei Treppen aus.

»Schade, gar keine Notrutsche.«

»Halt die Klappe.«

Wir wurden durch den kompletten Transitbereich geführt, ein Beamter des Bodenpersonals ging voraus und brachte uns schließlich in einen Raum, in dem es nichts gab außer Stühlen. Weil ich in diesem Stadium zwischen Adrenalinrausch und Erschöpfung nichts mit mir anzufangen wusste, setzte ich mich einfach nur und beobachtete meine Mitreisenden. Bei diesem Flug von Abu Dhabi nach Kochi war nur eine Handvoll Europäer und Amerikaner an Bord. Das waren auch diejenigen, die viel redeten, die debattierten, was denn nun letztendlich der Grund für die Notlandung gewesen sein könnte, warum es keine Infos gab und, vor allem, wie es nun weitergehen würde. Der Rest der Passagiere schwieg. Viele schlossen die Augen und lehnten sich auf den unbequemen Stühlen zurück, zogen Snacks aus den Taschen oder tippten auf ihren Handys.

Welche Optionen gab es? Eine Übernachtung in Maskat, der Hauptstadt Omans. Ich fing an zu googeln. Maskat, das hieß übersetzt Ort des Fallens. Treffsicher, ich musste lachen. Ich war schon einmal an diesem Flughafen gesessen, doch damals war es ein geplanter Umstieg gewesen. Vielleicht sollte ich der Stadt ja diesmal eine Chance geben?

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Anika Landsteiner

Ani heißt eigentlich Anika, wird grundsätzlich falsch geschrieben und nur in vollem Namen gerufen, wenn sie etwas angestellt hat. Seit Sommer 2010 veröffentlicht sie ihre anidenkt. Kolumnen. Frei nach dem Motto "Was raus muss, muss raus!", werden in regelmäßigen Abständen kleine Herzensangelegenheiten, Reiseartikel und Fotostrecken veröffentlicht. Ihr findet Ani auch auf Facebook, Twitter und Instagram.

  1. Caroline says:

    Ich musste über den Satz mit der Nachspeise sehr schmunzeln. Das geht mir auch immer so. Aber schön, dass ich nicht die Einzige bin!!! :-))

    Habt ihr denn noch Erfahren, was der Grund für die Notlandung war?

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