Das Wadi Rum in Jordanien: Endlose Weite, sandiger Boden, einsame Ziegenhirten und passierende Kameltreiber. An diesem abgelegenen Ort auf der arabischen Halbinsel werden Lawrence von Arabien-Träume wahr. Doch der Schein trügt. Die heutige Beduinengeneration hat ein Facebookprofil, kennt sich mit Digitalkameras aus und weiß was Backpacker wollen. Ein Portrait.

Schlange-Salam-Wadi-Rum
Links: Salaam begeistert sich für unsere Kameras. Rechts: Diese Schlange wartet nur darauf von uns fotografiert zu werden, bevor sie es dann doch vorzieht sich in einer Felsspalte zu verstecken.

Salam, geschätzte 15 Jahre, stellt den Motor seines weißen Toyota Landcruisers ab, springt aus dem Wagen, und entzündet mit Hilfe mitgebrachten Reisigs ein kleines Feuer auf dem Wüstenboden. Nachdem er Wasser, ein wenig Kaffeepulver und Kardamomsamen in den alten verrußten Kessel gegeben hat, stellt er ihn auf die Glut. Salam ist ein moderner Nomadensohn, er lebt am Rande des Wadi Rum, einem sich gewaltig öffnenden Wüstenschlundes mit nichts als Felsen und Sand.

Im Winter klirrende Kälte, im Sommer flirrende Hitze. Dieses gewaltige Trockental ist einer dieser sich selbst widersprechenden Touristenorte: Vor 20 Jahren haben sich hier Kameltreiber und Wüstenagamen gute Nacht gesagt, heute kommen Backpacker in die angepriesene „Einsamkeit“. Die gute Nachricht:

1. Das Wadi ist so riesig, dass sich die Besucher verteilen.
2. Lässt man sich nicht ins Folklore-Touristencamp bringen, sondern fragt seinen Beduinen-Tourguide ob man draußen bei seiner Familie schlafen kann, so lässt man alle anderen Besucher schnell hinter sich. Mein Begleiter Christian und ich haben Glück gehabt. Wir haben beide eine Wüstentour im Wadi Musa (Ausgangsort für Erkundungen von Petra) gebucht, und sind vom Hotel zufällig an diesen alternative Anbieter weitergeleitet worden. Darüber hinaus haben wir das Glück, nur für einen Tag Wüstenerkundung per Wagen zu bezahlen, und dann können wir so lange gratis bei seiner Familie im Wadi bleiben wie wir möchten. Ein verlockendes Angebot von den Touristenströmen wegzukommen.

Auf der Tour mit dem Geländewagen des ersten Tages sind die üblichen, von vielen Anbietern angesteuerten Fotopunkte trotzdem atemberaubend:

Ausblick: Wadi Rum, hinter den dunstigen Felsen in der Ferne liegt unser Tagesziel, das Camp der Beduinenfamilie
Ausblick: Wadi Rum, hinter den dunstigen Felsen in der Ferne liegt unser Tagesziel, das Camp der Beduinenfamilie
Mit dem Geländewagen fahren wir durch die Weite...
Mit dem Geländewagen fahren wir durch die Weite…
Pause an einer natürlichen Felsbrücke
Pause an einer natürlichen Felsbrücke

Am Abend erreichen wir das Familiencamp von Mohammed, Salams Vater. Auf dem sandigen Boden im Windschatten eines großen Felsens steht ein mehrkammeriges, mit Seilen abgespanntes Zelt. Es gibt eine Schlafkammer für Mohammeds Frau und seine Mutter, eine Kochkammer mit Feuerstelle und Küchenschrank und eine Esskammer.

Links das mehrkammerige Zelt, im Hintergrund der runde Ziegenverschlag, rechts das gesamte Hab und Gut der beiden
Links das mehrkammerige Zelt, im Hintergrund der runde Ziegenverschlag, rechts das gesamte Hab und Gut der beiden

Die Familienform, die diese arabische Familie pflegt, ist für unsere westlichen Vorstellungen von Ehe sehr merkwürdig. Der Beduine Mohammed hat 2 Ehefrauen. Seine erste lebt hier draußen mit seiner Mutter, hütet Ziegen und wird von Mohammed und ihren älteren Kindern regelmäßig per Geländewagen besucht. Seine zweite Ehefrau lebt mit ihm in einem schicken Häuschen im Dorf am Rande des Wadis. Dort leben auch die Kinder, die er mit seiner zweiten Frau hat. Im Haus gibt es alles was westlichen Lebensstandard ausmacht: Internet, alle seine Kinder sind digital aufgewachsen, haben Facebook-Profile und E-Mail-Adressen. Fernseher, Herd, fließendes Wasser etc. Mehrere Frauen zu haben ist in der arabischen Kultur legitim. So lange Mann alle ernähren kann…

Das Wadi in der Abenddämmerung
Das Wadi in der Abenddämmerung
Mohammeds Mutter hütet die Ziegen
Mohammeds Mutter hütet die Ziegen
Das Leben in der Wüste zeichnet die Menschen
Das Leben in der Wüste zeichnet die Menschen

Sehr zum Verdruss seiner ersten Frau. Diese ist mit dem beschwerlichen Nomadenleben und seinen spärlichen Besuchen unzufrieden. Sie möchte keine Ziegen mehr hüten, aufwendig auf dem Feuer Essen kochen und hat die Kälte der Nacht und die Einsamkeit satt. – Kontrovers, Christian und ich besuchen diesen Ort genau wegen der Abgeschiedenheit, dem auf Feuer gekochten Essen und der fantastischen Aussicht.

Die traditionellen Lebensformen verändern sich, wie überall auf der Welt rasend schnell – von Generation zu Generation. Mohammeds Mutter kennt nichts anderes, als mit ihren Ziegen nach neuen Weideplätzen im Wadi zu suchen, sich mit ein paar Kleidern vor der Winterkälte zu schützen und abends am Feuer Shawarma und Teigfladen zuzubereiten.
Mohammed wuchs auch so auf. Mit dem aufkeimenden Tourismus der 90er kam Wohlstand und Bequemlichkeit. So baute er das Haus am Rande des Wadis wurde halb sesshaft und kaufte Geländewagen für Touren.

Im klimatisierten Haus werben heute seine Kinder wiederum Kunden über Facebook – paradox.

Nachts wollen wir die Augen gar nicht zumachen: Zu klar leuchtet der Sternenhimmel (hier Lightwriting )
Nachts wollen wir die Augen gar nicht zumachen: Zu klar leuchtet der Sternenhimmel (hier Lightwriting )

Am nächsten Tag helfen wir der Familie noch beim Umzug ihres Zeltes. Die wenigen Stellen, wo die Ziegen grasen können, liegen mittlerweile zu weit entfernt, so dass wir das Zelt umbauen werden. In einem ganzen Tag Arbeit verladen wir die Plane, das Ziegengatter, den schweren Küchenschrank, alle persönlichen Gegenstände und Matratzen auf den Geländewagen und fahren 2 Kilometer weiter. Meine deutsche Eile verlerne ich hier schnell: Nachdem etwas aufgeladen wurde, setzen wir uns erst wieder hin und trinken Minztee. Irgendwann geht es dann doch wieder weiter und so dauert der Umzug des wenigen Hab und Guts den ganzen Tag. Am Abend steht das Zuhause der Familie und die Ziegen haben auch wieder einen frischen Platz. Genau rechtzeitig nachdem die Arbeit getan ist, taucht Mohammed auf, um Minztee zu trinken. Arbeit ist hier wohl mehr Frauensache…

Bevor wir am nächsten Morgen diesen besonderen Ort verlassen, schaut noch ein somalischer Kameltreiber mit seinen drei Tieren vorbei. Er ist vor dem Krieg in seiner Heimat geflohen und zu Fuß/auf Kamelrücken bis nach Jordanien gelaufen. Das Wadi gefällt ihm, hier möchte er sich auch „niederlassen“ und von Weideplatz zu Weideplatz ziehen. Vermutlich werden seine Kinder irgendwann auch über Facebook Backpacker werben…
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Fakten:
Flug von Deutschland nach Amman. Direktflüge sind ab Frankfurt möglich.
3h Busfahrt von Amman bis zum Wadi Rum (Dorf Rum als Endstation)
Kosten pro Tag: ca 80 Euro pro Fahrzeug inklusive Fahrer, bis 6 Personen
allerdings schwanken die Preise stark nach Verhandlungsgeschick, wir bekamen dafür auch noch drei Mahlzeiten und die Übernachtung (auf Matten und mit Decken).
Die Beduinen sprechen alle gut Englisch
Alles ist möglich: Kamelritte von 5 Minuten bis mehrere Tage, Wüstenwandern, Unterkünfte in Betten mit Toiletten oder einfache Zeltlager…
Am besten organisiert man im Dorf Rum alles, so kann man sicher gehen was man kriegt: authentische Erfahrungen bei den Familien oder das Touristencamp[/white_box]

CategoriesAllgemein
Stefan Walter

Seit über 10 Jahren nutzt Stefan jede Gelegenheit in die Ferne zu kommen, sei es als Kanuguide, Austauschstudent oder Backpacker.
Er schreibt auf seiner Foto-Reiseseite http://www.backpacken.de über seine Backpacking Trips. Außerdem findest du hier Tipps und ein gratis E-Book wie du bessere Urlaubsfotos machen kannst.

  1. André Fi via Facebook says:

    Da war ich schon mit Studiosus!! Das war ganz ganz toll! Nur sehr kostspielig.
    Die Beduinen hatten iphones und saßen damit mitten in der wüste. Einer hat es während eines Tanzes ausgepackt und ich war schockiert, da ich zu dem Zeitpunkt noch dachte wie ursprünglich die doch sind hahaha

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