Es ist ein früher, kalter Oktobermorgen, gegen Mittag werde ich mich wieder gen Heimat bewegen. Doch zuvor habe ich noch einen Termin: Ich treffe die Fischerin. Gemeinsam fahren wir aufs Blau des Bodensees – unter dem Boot schaukelt uns das Wasser immer weiter in den Nebel hinaus.

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Heike Winder betreibt eine von fünf Fischereien in Hagnau, einer kleinen Gemeinde am Bodensee. Schon seit Jahren wirft sie dort ihre Netze aus und holt sie wieder ein, heute darf ich sie begleiten. Es ist ein typischer Oktobermorgen. Einer, der kalt und grau den dunklen Herbst einläutet, einer der auf die Gemütlichkeit der eigenen vier Wände verweist, selbstredend mit Decke und Tee. Doch ich bin weder zuhause, noch in gemütlicher Stimmung: Ich sehne mich nach Wind und Wetter.

Mein erster Schritt auf das Boot war wackelig, ich spürte den Seegang bereits am Ufer, habe keine Übung. Heike Winder ist geübt. Seit ihrer frühsten Kindheit ist sie auf dem See zuhause, ihr Großvater war schon Fischer, der Vater natürlich auch. Schon seit Jahrzehnten fischt die Familie im Bodensee, ist auf der Jagd nach Felchen und Seeforellen, die anschließend sofort im vom Großvater gebauten Räucherofen verschwinden und dann – vom Rauch zart gegart – verkauft werden.

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Das Boot ist schnell und Heike weiß, wo wir hinmüssen. Die ausgeworfenen Netze treiben im Wasser und nach jahrelanger Erfahrung weiß sie meistens, wo sie landen. Sie zieht einen Styropor-Schwimmer aus dem See, an ihm hängt das Netz. Bevor sie weiß, wieviele Fische sich im Netz tummeln, muss sie das Netz erst auffädeln. Schnell zieht sie es aus dem kalten Wasser, sie braucht nur wenige Minuten. Die Ausbeute ist gering: Lediglich ein paar Fische zappeln an der frischen Luft. Heike erklärt mir, dass zum Beispiel die so beliebten Felchen aktuell nicht gefischt werden dürfen, sie haben ab Herbst Schonzeit.

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Doch auch in der Saison sind es weniger Fische geworden. Denn nachdem der See aufgrund von Schmutz und viel zu hoher Phosphat-Werte gesäubert wurde, finden die Fische zu wenig Nahrung. „Das Wasser ist jetzt viel zu sauber,“ erklärt mir Heike. Der See verändert sich, der Fang wird kleiner, von der Fischerei allein zu Leben ist längst keine Option mehr. Heike Winder macht das wütend und traurig zugleich und sie handelt – auch andere Fischer engagieren sich. Mein Blick verfängt sich in den leeren Netzen, verliert sich in den Wellen, die das Boot beim Weiterfahren schlägt, und ich denke mir: Niemand sollte kampflos seine Leidenschaft aufgeben.

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Beim letzten Netz angekommen hat sich statt einem zappelnden Fisch ein kleiner Krebs in den Maschen verirrt. Heike befreit ihn vorsichtig und wirft ihn dann zurück in das Wasser. Heute werden wir nicht mehr als ein paar kleine Fische fangen. Dennoch bin ich entspannt und zufrieden, die Ruhe hier auf dem Wasser hat etwas Meditatives und ich verstehe voll und ganz, dass Heike Winder das nicht aufgeben kann und will. Ob das Fischen nicht auch eine gute Touristenattraktion wäre? Etwas, das Reisenden in Hagnau einen Einblick in den Berufsalltag gewährt? Ich überlege und komme dann zu dem Entschluss: Mit der Ruhe auf dem Boot, mit dem Alleinsein und der Stille wäre es dann jedoch bestimmt vorbei.

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Und schon fahren wir wieder gen Ufer. Ihr Haus inklusive Werkküche und Räucherofen liegt direkt am See. Der kleine Bootssteg wird immer größer, je näher wir kommen. Und Heike zeigt noch einmal, was das Boot kann: Sie dreht den Speed hoch, Lärm und Wellen in den letzten Minuten. Ich steige vom Boot auf den Steg, die Heimreise naht und ich schaue noch mal zu Heike, auf den Bodensee und den Fang. Ich frage die Fischerin: „Was passiert jetzt eigentlich mit den sechs Fischen, werden die geräuchert? Lohnt sich das?“ Dann folgt mein Blick dem von Heike, sie schaut nach unten, grinst mich an und das ist Antwort genug: Gerade schlängelt sich die Hauskatze um ihre Beine, sie schnurrt und lässt die Fische nicht aus den Augen.

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Stella Pfeifer

Studiert und arbeitet in Kassel, doch am liebsten fährt sie durch fremde Landschaften oder mit der Belgrader Straßenbahn. Und schreibt darüber. Immer mit dabei: Ein Notizbuch und ein kleiner Beutel voller Fotofilme, denn ihre Reisen fotografiert sie ausschließlich analog. Was sie noch mag? Gespräche. Mehr dazu auf: fünfpluszwei.de.

  1. Melanie says:

    Hallo,

    mein Opa war auch Fischer. Früher konnte man davon leben, heute ist das nicht mehr möglich. Ich finde es traurig, wie sich dieser Berufszweig entwickelt hat.

    Bemerkenswert, dass Heike trotzdem noch ihrer Leidenschaft nachgeht.

    Hut ab!

    1. Stella says:

      Liebe Melanie,

      ja das finde ich auch schade. Aber so lange man noch für etwas brennt, sollte man auch es auch fortführen und Heike macht das – ich finde das sehr beeindruckend.
      Schön, dass du das auch so siehst. :)

  2. Martina says:

    Ich wusste gar nicht, dass man auf dem Bodensee noch fischen kann ! Ich hoffe, Heike kann dies noch lange tun und vielleicht die Tradition an ihre Kinder weitergeben ?
    Auf jedenfall ein super Artikel. Alles Gute für 2016 !!

  3. Saskia Bittner says:

    Ein ehrlicher Artikel mit ehrlichen und sehr gut gelungenen Bilder! Der Bodensee ist tatsächlich leider etwas mager geworden, aber mit viel hoffnung und säuberung der Gewässer kann sich das ja bald ändern – man weiß nie!

  4. Thomas Bruno Geiger says:

    Was für eine Traumfrau.
    Ich frage mich, ob sie schon vergeben ist.
    Die herzliche Natürlichkeit steht ihr ins Gesicht geschrieben.

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